Über das Streben nach Unsterblichkeit
Die Longevity-Konferenz ist halb Investorentreffen und halb seriöser Wissenschaftskongress mit Forschern wie dem britischen Bioingenieur Aubrey de Grey. Gemeinsam wollen die Teilnehmer den Tod abschaffen. Wie weit sind sie? NZZ-Feuilleton, Illustration: Simon Tanner
Das Reich Gottes hat heute keine Besucher. Die St.-Josefs-Kirche liegt abseits der eleganten Gstaader Promenade, wo Weissweingläser klirren und Einkaufstüten mit dezentem Prada- oder Hermès-Logo spazieren getragen werden. Vorne am Altar hängt das Kruzifix vor einer expressionistischen Farbwand, es sieht aus, als würde hier das Höllenfeuer lodern. Die Bibel ist aufgeschlagen, Buch des Sirach, Kapitel 14: «Jeder Mensch wird alt wie ein Gewand», steht dort geschrieben, «es gilt das ewige Gesetz: Man muss einst sterben. Gleich wie am grünen Baum der Blätterwuchs, wovon das eine welkt, das andre frisch erspriesst, so sind auch die Geschlechter all von Fleisch und Blut: Das eine stirbt, das andre wächst heran.»
Zehn Minuten Fussweg von der Kirche entfernt treffen sich im Hotel Grand Bellevue diejenigen, die sich mit dem ewigen Gesetz nicht abfinden wollen. Die nicht untätig zusehen wollen, wie der menschliche Verfall unablässig voranschreitet. Sie wollen dem Tod einige Jahrzehnte abtrotzen, wenn ihn nicht gar ganz überwinden. Oder sie wollen zumindest ein gutes Geschäft da- mit machen. «The most exclusive conference for longevity investors», so steht es auf dem Banner am Entrée des Hotels. Der exklusivste Anlass für solche, die in Langlebigkeit investieren wollen.
Zum vierten Mal findet in diesem September die mehrtägige Konferenz hier statt, in diesem herrlichen Bergtal im Berner Oberland, wo die deutsche an die französische Schweiz grenzt. Über die erste Konferenz 2020 erzählt man, dass der regionale Flugplatz damals völ- lig überlastet war, wegen all der Privat- flugzeuge der Superreichen, die aus den USA, aus Israel oder Indien angereist waren. 3600 bis 5800 Franken kostet das Ticket, je nach Kategorie der Hotel- zimmer. Aus Tausenden Bewerbungen wird nur eine handverlesene Gruppe von 120 Gästen ausgewählt. Grundvoraussetzung ist ein Kapital von mindestens 30 Millionen Dollar – Geld, das in die vielleicht letzte Sache fliessen soll, die sich Milliardäre bisher nur mit Einschränkungen kaufen konnten: ein langes Leben.
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