Über das Glück der Ausgestoßenen

Heinz Strunk haftet immer noch der Ruf an, ein Comedian zu sein und kein Schriftsteller. Dabei ist sein neuer Roman mehr als bloß eine Schenkelklopfer-Parade. Die ZEIT

Heinz Strunk ist kürzlich 60 Jahre alt geworden. Man würde nun langsam das Alterswerk vermuten, das oft mit einer literarischen Neuerfindung einhergeht. Thomas Mann etwa emigrierte in seinen Sechzigern in die USA und schrieb nach seinen Monumentalwerken bald eher heitere Erzählungen. Kann aber Alterswerk der richtige Begriff sein für jemanden, der mit 42, quasi als Quereinsteiger, seinen Erstling veröffentlicht hat?

Sprachlich jedenfalls hält der Kabarettist in seinem neuen Roman Ein Sommer in Niendorf an Altbewährtem fest, an hohem Tempo und irrwitzigen Bildern: Das Pferdemädchen mit dem unglaublich langen Gesicht, “als hätte jemand sehr fest daran gezogen”. Der alte, sich verbeugende Herr, der seinen Hut lüften würde, besäße er einen. Kennt man und macht Spaß.

Die Hauptfigur dagegen ist weniger Strunk-typisch, kein Loser am unteren Ende der Gesellschaftspyramide. Roth ist Jurist in “Wirtschaftssachen” und kommt laut eigener Aussage gut an bei Frauen. Seit einem Jahr ist er aber geschieden, vertreibt sich seine Zeit mit gelegentlichen Affären und bemüht sich, der aus seiner Sicht missratenen Tochter aus dem Weg zu gehen. Alles in allem ein angesehenes, wenn auch desillusioniertes und von Misanthropie zerfressenes Mitglied der Gesellschaft.

In Niendorf, einem Seebad am Timmendorfer Strand, will sich Roth nun selbst erfinden: ein Buch schreiben, eine Abrechnung mit seinem Vater, dem Magnaten und Nazi-Profiteur. Stoff für einen Bestseller, findet er – und sieht schon den Mehrteiler im Öffentlich-Rechtlichen vor Augen.

Doch will es mit dem Schreiben nicht so recht klappen. Zu spröde sind seine Sätze, “Anwaltsprosa”, bei der man jedes Wort “mit dem Reißnagel im Hirn befestigen” müsste. Und dann sind da noch Breda und Simone, die ihm bei den Strandspaziergängen ständig über den Weg laufen. Er, Breda, Ferienwohnungsverwalter und Besitzer eines Spirituosengeschäfts, ein “pergamenthäutiger Lulatsch mit Plauze”, Archetyp eines Alkoholikers. Sie, Simone, Bredas übergewichtige Freundin, gutmütig und naiv: “schaut im Netz Katzenvideos, bricht vor Rührung in Tränen aus oder lacht sich wahlweise kaputt”. Klar, dass der Bildungsbürger Roth abschätzig auf beide herabblickt. Als er Simone einmal auf der Seebrücke begegnet, ertappt er sich beim Gedanken, dass eine wie Simone an einem mondänen Ort wie diesem nichts verloren habe.

Doch je mehr Zeit unser Held in Niendorf verbringt, desto mehr stellen die Ereignisse seine angenommene Überlegenheit infrage. Nicht nur das Buchprojekt scheitert. Auch auf der Liebesfront versagt Roth, er malt sich Chancen bei einer jungen Frau aus, stellt ihr nach, erntet dabei Verachtung. Die Würdelosigkeit des alten Mannes erinnert wohl nicht zufällig an Gustav Aschenbach in Thomas Manns Tod in Venedig (immer wieder greift Strunk den berühmten Lübecker Nachbarn in der Travemünder Bucht auf).

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“Ein Sommer in Niendorf”: Selig im Suff

Heinz Strunk ist kürzlich 60 Jahre alt geworden. Man würde nun langsam das Alterswerk vermuten, das oft mit einer literarischen Neuerfindung einhergeht. Thomas Mann etwa emigrierte in seinen Sechzigern in die USA und schrieb nach seinen Monumentalwerken bald eher heitere Erzählungen.

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