Über die Banalität des Bösen
Eine literarische Sensation: Nicola Lagioias Roman “Die Stadt der Lebenden” handelt von der Verderblichkeit Roms – Die ZEIT
Es begann mit einem Reporterjob: Im Jahr 2016 sollte der damals schon preisgekrönte italienische Schriftsteller Nicola Lagioia über einen Mordfall in Rom berichten. Zwei junge Männer hatten einen dritten zu Tode gequält. Als Lagioia vor der Wohnung stand, in der das Gemetzel stattgefunden hatte, fühlte es sich an, als hätten sich “die Arroganz, die Grausamkeit, das Gefühl des Versagens, vor dem die Stadt barst”, auf nur einen Punkt zusammengezogen. Lagioia konnte es spüren: das Böse. Es ließ ihn nicht mehr los.
Unzähligen Schriftstellern erging es wie Lagioia: Vom Grauen wahrer Kriminalfälle in Besitz genommen, konnten sie nicht anders, als diese nach oft jahrelanger Aktenrecherche in Weltliteratur zu verwandeln. Eine Zeitungsmeldung über einen Mord im ländlichen Amerika inspirierte Truman Capote zu Kaltblütig. Und der französische Starautor Emmanuel Carrère brachte das Genre des Tatsachenromans auf eine neue Ebene, indem er sich selbst und seine Empfindungen in den Mittelpunkt seiner Kriminalgeschichten rückte: Der Widersacher oder – ganz aktuell – V13 über den Terrorprozess von Paris. Nicola Lagioia fügt sich nahtlos in diese Reihe großer Namen ein: Sein Roman Die Stadt der Lebenden ist eine literarische Sensation.
Auf einer Silvesterparty lernen sich Marco Prato und Manuel Foffo kennen. Beide Männer sind Ende 20, aus gutem Hause, desillusioniert. Wochen nach ihrem Kennenlernen verschanzen sie sich in Manuels Wohnung, schnupfen Berge an Kokain, Gäste kommen und gehen, trinken und schnupfen mit, zwischendurch ereignen sich sexuelle Handlungen. In dieser Halbwelt verschwimmt die Realität, Marco und Manuel tauschen ihre dunkelsten Gedanken aus. Mit der Fantasie zu spielen, das mache Spaß, denken sie. Bis die Fantasie zur Realität wird.
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