Über den Kampf der Kulturen

Der Kampf der Kulturen verdüstert Freundschaften, Familien und Liebesbeziehungen. Was hilft? Zadie Smith hat eine einfache Antwort.

Bei Weisheitszähnen, so sagen es Evolutionsbiologen, handelt es sich um sogenannte Rudimente: Körperteile, die bei unseren Ahnen eine Funktion erfüllt haben, mittlerweile aber nutzlos sind. Das zäheste Mammutfleisch ließ sich mit diesen zusätzlichen Mahlzähnen zerteilen. Heutzutage ist die Nahrung eine andere, und die Münder sind für Weisheitszähne oft zu klein. Sie sind, so heißt es in Zadie Smiths Jahrtausendwende-Roman, “der einzige Körperteil, in den der Mensch sozusagen hineinwachsen muss”.

Wie der Titel schon andeutet, spielen Beißwerkzeuge in White Teeth (dt.: Zähne zeigeneine zentrale Rolle. Immer wieder blitzen sie im Laufe der Handlung auf: mal strahlend weiß, mal schief und vorstehend, mal als Prothesen. Als Symbol sind Zähne variabel einsetzbar, und so stehen die Weisheitszähne hier als Metapher für die geistigen Rudimente, die uns heute umtreiben: Religion und Tradition. Sie sind die Überbleibsel aus einer Nacht, in der die Welt noch nicht durch Wissenschaft erhellt wurde. Auch diese kulturellen Rudimente scheinen heute zwecklos, und dennoch quälen sie uns wie eine eitrige Zahnfleischentzündung. 

Vermutlich spürten im Jahr 2000, also dem Jahr, in dem White Teethveröffentlicht wurde, besonders viele Menschen das Drücken der symbolischen Weisheitszähne. Der Fukuyama-Optimismus der geordneten Nachwendejahre hatte sich verflüchtigt, Harvard-Professor Samuel P. Huntington hatte gerade die These vom Clash of Civilizationsgeprägt. Am Horizont tauchte eine Katastrophe auf, die die Welt in ein Davor und ein Danach teilen würde: der 11. September 2001. Statt eines Punktes, wie vom Politologen Francis Fukuyama prophezeit, hatte die Weltgeschichte ein Semikolon gesetzt. Man ahnte bereits, dass die Vergangenheit wieder an die Oberfläche drängen würde. Hinterlassen würde sie vor allem Chaos und Verunsicherung.

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Bücher über Hoffnung: Wer begleitet mich durch die Nacht?

Zadie Smith zum Beispiel. Harriet Beecher Stowe, Hermann Hesse oder Michail Bulgakow. Oder: Fjodor Dostojewski, Emily Brontë, Umberto Eco und David Foster Wallace.

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