Über Leben im sexuellen Proletariat

In Heinz Strunks neuem Roman “Es ist immer so schön mit dir” geht es um die Liebe, aber auch hier schaut der Autor so tief in die Abgründe, dass es politisch ziemlich unkorrekt zugeht.
Foto: Harald Krichel/ Wiki Commons -Die ZEIT

Für diejenigen, die Heinz Strunk vor allem von seiner Serienmörder-Erzählung Der goldene Handschuh kennen, gleich die Entwarnung: Sein neuer Roman stinkt weniger bestialisch; er riecht nicht nach Urin und billigem Fusel, eher nach Weizenbier und Nervositätsschweiß. Die Abgründe scheinen weniger tief – was wiederum den Vorteil hat, dass der, der genau hinsieht, sein Spiegelbild erschreckend gut erkennen kann.

Denn anders als die meisten Strunk-Romane ist Es ist immer so schön mit dir kein Milieuporträt der Abgehängten. Der Erzähler, ein ehemals vielversprechender Musiker, dessen Namen wir nicht erfahren, ist in seinen Vierzigern, betreibt ein recht erfolgreiches Tonstudio und lebt in einer festen Beziehung. Unzufrieden ist er trotzdem: Nicht nur, dass ihm seine Freundin Julia, die Mathelehrerin, nicht mehr gefällt. Sie hat etwas “Tantchenhaftes”, an Sex ist nicht mehr zu denken. Doch er ekelt sich auch vor sich selbst. Betrunken steht er vor dem Spiegel, sieht das “runzlige Gesicht eines Affen” und denkt darüber nach, seinen verkümmerten Hodensack liften zu lassen. “Was er da sieht, hat nun gar keinen Marktwert mehr. Kann er sich gleich morgen mit den anderen Ausgeleierten und Verwelkten zusammentun.”

Dann lernt er die junge Schauspielerin Vanessa kennen. Sportlich und bildhübsch, “ihr blondes Haar fällt leuchtend und dick wie Honig”. Sie verlieben sich. Eine wie sie will einen wie ihn? Ist er doch mehr wert, als er dachte?

Auf der Handlungsebene ist der Roman eine typische Midlife-Crisis-Geschichte: Ein mittelalter, notgeiler, von Selbstzweifeln zerfressener Mann verlässt seine Partnerin für eine Jüngere – so weit, so bekannt. Dass es ihm eigentlich nur um Sex geht, ist auch kein originelles Motiv. Ansonsten will es zwischen den beiden nämlich nicht so recht passen: Bei ihren Spaziergängen schweigen sie sich an, seine Witze versteht sie nicht. Sehnsüchtig wartet er darauf, dass sie ihm schreibt; wenn sie sich aber treffen, dann ist er nervös, überfordert, dann betrinkt er sich. Ist es wirklich Vanessa, die er begehrt? Oder geht es ihm darum, seine Komplexe zu kompensieren?

Das hat man alles so oder so ähnlich schon mal gelesen – selten aber so genial umgesetzt. Dem Buch gelingt es, einen Sog zu entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann: Das liegt am Tempo, am Sound, vor allem an dieser unwiderstehlichen Situationskomik des Studio-Braun-Kabarettisten. Die Wortsalven werden im Stakkato abgefeuert, die Charaktere sind so absurd wie die Dialoge. Da ist der Halbbruder, der aussieht wie ein Krustentier, “beim Handshake knacken seine Gelenke”. Da ist “Käse-Michi”, ein Kleinhersteller regionaler Milchprodukte, sein Kopf wirkt, als säße ein kleines Ei auf einem großen. Da ist Vanessas Schwester Ina, die beim Familientreffen einen hohlen Kalenderspruch nach dem anderen rausballert, auf ihrem T-Shirt steht “Young, wild and beautiful”. Er stoppt sie mit einem pietätlosen Hitlerwitz. Und dann sind da Augenblicke wie dieser: Vanessa und er sitzen in der Badewanne, sie trinken Rosésekt, der nach Aluminium schmeckt. “Wie zwei im flachen Wasser ruhende Wale” sehen sie aus. Das abgegriffene Badeschaum-und-Duftkerzen-Klischee bricht Strunk durch den Wal-Verweis, und es entsteht unerwartete Schönheit.

Diese Momente sind selten. Schließlich ist die Liebe bei Strunk eine Kampfzone, geprägt von Selbstbehauptung, Erniedrigung und Abweisung. Sein Freund Peter fragt den Erzähler einmal, wo es eigentlich geschrieben steht, dass sich Mann und Frau zusammentun sollen. “In der Bibel? Im Koran? Im Duden? Bei Asterix und Obelix?” 
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Heinz Strunk: Das Leben im sexuellen Proletariat

Für diejenigen, die Heinz Strunk vor allem von seiner Serienmörder-Erzählung Der goldene Handschuh kennen, gleich die Entwarnung: Sein neuer Roman stinkt weniger bestialisch; er riecht nicht nach Urin und billigem Fusel, eher nach Weizenbier und Nervositätsschweiß. Die Abgründe scheinen weniger tief – was wiederum den Vorteil hat, dass der, der genau hinsieht, sein Spiegelbild erschreckend gut erkennen kann.

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